5- Einleitung
Einleitung
Allgemeiner Überblick Über Die Alevitisch-Bektaschitische Kultur Und Glaubensauffassung
„Rost glüht nicht von selbst, sondern durch das Feuer
Der Verstand sitzt im Kopf, nicht in der Krone
Was immer du suchst, sollst du bei dir suchen
Nicht in Jerusalem, in Mekka oder auf der Pilgerfahrt.“
(Hararet nardadır, sacda değildir
Keramet baştadır, tacda değildir
Her ne arar isen kendinde ara
Kudüs’te, Mekke’de, Hac’da değildir.)
„Du sollst bescheiden seien und nie ein Herz brechen
Du sollst den Weg des wahren Derwischtums gehen
Wenn du ein Mensch bist, wirst du nicht sterben
Denn der Wolf kann Liebende nicht reißen.“
(Sakin ol kimsenin gönlünü yıkma
Gerçek erenlerin izinden çıkma
Eğer insan isen ölmezsin korkma
Aşığı kurt yemez uc’da değildir.)
Hacı Bektaş Veli (Hadchi Bektasch Veli)
Mit diesen Zeilen beginnen wir, weil uns Gedichte, Lieder und Musik die Kultur des anatolischen Alevismus-Bektaschismus lebhaft übermitteln.
Die Alevitisch-Bektaschitische Lehre, gründet sich auf Werte wie Liebe, Respekt und Toleranz gegenüber dem anderen. Es ist ein Glaube, der Islamischer Mystik und besonders dem Ali-Kult entsprungen ist; eine Lehre, die durch das Gedankengut sowie Brauchtum der altasiatischen und anatolischen Kulturen beeinflusst worden ist und ein Mosaikgebilde aus verschiedenen Kulturen, verschiedenen Glaubensrichtungen, verschiedenen Traditionen und Lebensweisen darstellt.
Es ist eine für den anatolischen Menschen bestimmende Glaubens- und Lebensform und Lehre. Diese Lehre und Lebensform stammt aus der sprachen, aus dem Gedankengut, aus den Traditionen und Sitten der anatolischen Menschen. Der Alevismus-Bektaschismus ist vor allem eine soziale Vorstellung und eine humanistische Philosophie. Nach ihm ist der Menschen das wertvollste und reifste Geschöpf, das geschaffen ist. Alles existiert im Menschen dasei, vorausgesetzt, dass der Mensch diese Menschenwerte kennt und mit Menschenwürde lebt. In dem Zusammenhang lassen wir Per Sultan Abdal1 zu Wort kommen:
„Suche den Gott nicht in der Fremde
Gott ist in dir, wenn du dein Herz sauber hellst;
Alle haben wir im Menschendasein betrachtet oh Freunde.“
(Sen Hakk’ı yabanda arama sakın
Kalbini pak eyle Hak sana yakın
Insana hor bakma gözünü sakın
Cümlesin insanda bulduk erenler)
Hacı Bektaş Veli (Hadchi Bektasch Veli)
Die alevitische-bektaschitische Kultur nimmt ihre Wurzel aus der aus der Wissenschaft. Sie meint, dass nur durch Wissen und Vernunft Licht in die Finsternis der Gedanken gebracht werden kann. mit wissen und Vernunft können Schlechtigkeiten, Hass, Vorurteilt und Ignoranz besiegt werden. Durch Wissen und Vernunft kann man zu Frieden, Freundschaft und Wohlstand gelangen. Zu diesem Punkt hören wir Hacı Bektaş Veli:
„Ein Weg ohne Wissenschaft endet in der Finsternis“.
(Ilimden gidilmeyen yolun sonu karanlıktır).
Hazreti2 Ali:
“Die Menschen fürchten sich vor dem, was sie nicht wissen.”
(Insanlar bilmedikleri şeylerden korkarlar).
“Jedes Gefäß wird beim Auffüllen immer enger, Aber das Gefäß des Wissens wird immer breiter, wenn man es auffüllt.”
(Her kap dolduruldukça daralır, Ama ilim kabı dolduruldukça genişler).
Zum Thema Wissen sagt der Prophet Hazreti (Hz.) Mohammed:
„Und wenn Ihr bis nach China gehen müsstet, Sucht Wissen und übernehmt es.“
(Çin’de bile olsa bilgiyi arayın, gidin elde edin.)
„Bildung ist für jede Frau und jeden Mann eine Pflicht.“
(Ilim tahsil etmek her kadın ve erkek için farzdır.)
„Sich einen Moment mit der Wissenschaft zu beschäftigen, sich einen Moment mit Büchern und Schreiben zu beschäftigen, ist sinnvoller als 60 Jahre langes Beten.“
(Bir an bilgi ile uğraşmak, bir an kitaba, yazıya bakmak, altmış yıl ibadet etmekten hayırlıdır.)
Der Dichter Yunus Emre3:
„Wissen ist, Wissen zu wissen.
Wissen ist, sich selbst zu kennen.
Kennst du dich selbst nicht,
Wie ist dann Wissen möglich?“
(Ilim ilim bilmektir
Ilim kendin bilmektir
Sen kendini bilmezsen
Ya nice okumaktır.)
Zu diesem Thema sagt der alevitische-bektaschitische Dichter Kul Pervane:
„Erreiche die Wahrheit in dieser Welt
Bilde dich und fülle deine Sinne mit Weisheit,
Trage nicht einen leeren Kopf durch diese Welt,
Erkundige dich über eine Lebensform in Wahrheit.“
(Eriş hakikata kevn-ü mekanda
Arif ol kabını doldur irfanda
Boş kafa gezdirme iş bu cihanda
Hakikat babında hali gözle dur.)
Nach dem alevitisch-bektaschitischen Glauben kann ein Mensch mit dem Gebet allein seine Pflicht nicht erfüllen. Der Wegweiser dieses Weges, Hazreti Ali, formuliert wie folgt:
„Mehr arbeiten und wenig beten ist besser, Als wenig arbeiten und mehr beten.“
(Az ibadet edip çok çalışmak, Çok ibadet edip az çalışmaktan üstündür.)
Hören wir dazu etwas von dem Dichter Nisri-Niyazi (17. Jh.):
„Glaube nicht, dass du mit Fasten, Ritualgebet und
Pilgerfahrt frommer bist, dass du alles erfüllt hast;
Zur Vollkommenheit als Mensch ist dir Vernunft erforderlich.“
(Savm-ü salat, hac ile, sanma biter zahid işin;
Insan-ı kamil olmağa lazım olan irfan imiş.)
Nach alevitisch-bektaschitischer Überzeugung sind die humanistischen Vorstellungen und die Einheit aller Menschen sehr wichtig. Sie sind gegen jegliche Art von Hetzerei, Spaltung und Feindschaft. Ein anderer alevitisch-bektaschitischer Dichter, Ali Ilhami Dede (19. Jh.), sagt hierüber:
„Erkenne deine Fehler, sei vernünftig,
Lauer nicht auf die Fehler der anderen;
Betrachte die 73 (alle) Nationen mit gleichen Augen
Gott hat sie erschaffen und geliebt, oh Herz,
Sei nicht dagegen.“
(Kendi noksanını bilip arif ol
Kimsenin ayıbını gözetme gönül
Yetmişüç millete bir nazarla bak
Hak sevmiş yaratmış, söz etme gönül.)
Ein wichtiger Bestandteil des Menschseins ist auch gegenseitige Liebe, Toleranz und Freundschaft. Sie sind Hauptelemente des Alevismus-Bektaschismus. Zu diesem Punkt sagt ein alevitisch-bektaschitischer Dichter, Kul Mazlum (16. Jh.):
„Wenn du keine Liebe und keine Freundschaft im Herzen hast,
Ist das Gotteshaus in deinem Herzen ein gestürzt.
Wenn jemand sich nicht selbst erkennt,
Lass’ dessen Vieh auf die Weide.“
(Yok ise kalbinde muhabbet sevgi
Yıkıktır gönlünde Allah’ın evi
Özünde haberi olmayan divi
Salıver yabana yorulsun gitsin.)
Die Trinität der Hand, Zunge und lände macht einen wichtigen ethischen Grundsatz des Aleviten-Bektaschitentums aus. Folgende Aussprüche darüber sind sehr geläufig:
„Beherrsche deine Hände, deine Zunge und deine Lende.
1- Beherrsche deine Hände; mit deiner Hand nicht töten, nicht stehlen, nicht Gewalt anwenden…
2- Hütte deine Zunge; nicht Übles reden, nicht verletzend reden, nicht lügen, nicht schimpfen…
3- Beherrsche deine Lende bzw. zügle deine Triebe; Keuschheit für Mann und Frau außerhalb der Ehe, Monogamie, Ehrlichkeit und Anständigkeit…“
(Eline, diline, beline sahip ol.)
Diese drei Grundprinzipien werden bei Aufnahme in die Kultgemeinschaft durch ein Gelübde bekräftigt und während des Ayn-i Cem (rituelle Versammlung) immer wieder erneuert. Eine andere geläufige Regel ist:
„Sei entweder so, wie du scheinst, oder Scheine so, wie du bist.“
(Ya göründüğün gibi ol, ya olduğun gibi görün.)
Die Geheimhaltung ist auch ein Gebot bzw. eine Hauptregel des Alevismus-Bektaschismus. Deshalb wird öfters vom Bektaschi-Geheimnis (Bektaşi sırrı) gesprochen. Der Dichter Azbi Baba (18. Jh.) schreibt dazu folgende Zeilen:
„Mein Ratschlag an dich, behalte für dich, was du siehst,
Sage nicht, was du nicht gesehen hast!
Von heiligen Derwischen und Piren4 wurde es so übermittelt,
Sage nicht, was du nicht gesehen hast!
(Pir: religiöse Oberhäupter der Aleviten)“
(Sana yerden gökten büyük nasihat
Gördüğün ört, görmediğin söyleme!
Erenlerden, Pir’den budur emanet
Gördüğün ört, görmediğin söyleme!)
Die rituellen Versammlungen der Aleviten-Bektaschiten sind Zusammenkünfte, wo es keine Schlechtigkeit, kein Hass, keine Feindschaft, keinen Hochmut und keine üble Rede geben soll. In diesem Gesellschaftskreis sollen Frieden, Freundschaft, Toleranz, Liebe und Achtung herrschen.
Schließen wir das Kapitel mit folgenden Zeilen alevitisch-bektaschitischer Dichter Muhyddin Abdal (16. Jh.)
„Sie sagen immer Mensch, Mensch
Was Mensch ist, weiß ich jetzt
Sie sagen immer Freund, Freund
Was Freundschaft ist, weiß ich jetzt.“
(Insan insan derler idi
Insan nedir şimdi bildim
Can can diye söyler idi
Ben can nadir şimdi bildim.)
Hasan Dede (15. Jh.):
„Es gibt Bienen, die umherfliegend reisen,
Wählen die Rose unter den Rosen aus,
Der fanatische Gläubige wendet sich von uns ab,
Aber die Bienen sind wir, der Honig ist in uns.“
(Arı vardır uçup gezer
Gülü gülden seçip gezer
Zahit bizden kaçıp gezer
Arı biziz bal bizdedir.)
Fußnoten:
1. Pir Sultan Abdal (?-1560), bedeutendster Dichter der alevitische-bektaschitische Volksliteratur; mehr darüber s. S. 156 ff.
2. Hazret: Hoheit. Hazreti: Ehrentitel vor dem Namen von Personen, die als heilig gelten.
3. Yunus Emre (1250-1320) ist einer der bekanntesten Volksdichter, Denker und Mystiker; mehr darüber s. S. 134 ff.
4. Pir: Ordensoberhäupter der Aleviten-Bektaschiten. Pir der anatolischen Aleviten ist Hacı Bektaş Veli.
Buch: Der Weg Der Aleviten
Autor: Ali Duran Gülçiçek
Abgeschrieben: Seyyid Hakkı